Erfahrungsberichte aus Fiambala
Fiambalá: Theresa B.
Als ich nach dem schweren Abschied von meiner Familie im Flugzeug saß, wusste ich noch nicht, was mich in Argentinien erwarten würde. Vor meinen drei Monaten hatte ich eigentlich nur das typische Bild, das wir Europäer von Argentinien haben: Die Pampa, das Kuhfleisch, die Anden, Tango und natürlich weltberühmte Fußballer wie Maradona und Messi prägen unsere Vorstellungen. Aber erst während meiner Zeit dort, lernte ich das wahre Gesicht Argentiniens kennen. Zunächst verbrachten alle Austauschschüler eine Woche in Córdoba, der zweitgrößten Stadt des Landes. Die großen Städte sind sehr von europäischen Einflüssen geprägt, sodass ich mich wie in Deutschland fühlte. Umso größer war dann mein Schock, als ich in Fiambalá, dem Heimatdorf meiner Gastfamilie, ankam. Es ist ein sehr kleines Dorf in der Provinz Catamarca, mitten in den argentinischen Anden. Da ich Anfang August dort ankam, war es noch mitten im Winter. Dementsprechend war es sehr kalt und trocken. So mussten wir nicht nur ein Mal mit gefrorenem Wasser in den Leitungen kämpfen. Die Umgebung war wüstenhaft ohne richtige Vegetation. Da es aber nach dem Chaco die ärmste Provinz des Landes ist, war es ein komplett gegenteiliges Bild im Vergleich zu Córdoba, auch in Bezug auf den Lebensstandard. Für uns selbstverständliche Dinge wie Heizung, geteerte Straßen und Internetanschluss sind dort nicht die Basis. Besonders am Anfang war es schwierig für mich, weil man leider auch Menschen trifft, die in absoluter Armut leben. Dementsprechend groß war meine Überraschung, als ich in Kontakt mit den Argentiniern kam. Als ich aus dem colectivo ausstieg und meine Gastmutter Maria bereits wartete, war ich ziemlich verunsichert. Die Menschen dort sind aber unglaublich herzlich und offen. Wir waren kaum zu Hause, da kamen schon die Nachbarn, um mich zu begrüßen und den ersten Mate mit mir zu trinken. Mate ist das Nationalgetränk Argentiniens, einem Kräutertee ähnlich, der dort einen sehr hohen Stellenwert hat. Im Laufe des Tages kam das halbe Dorf vorbei. Ihre Neugier ist ein großer Vorteil für Austauschschüler. Sie gehen auf dich zu, stellen dir Fragen und integrieren dich sofort in ihre Gemeinschaft. Dadurch vermisst man gar nicht erst die Familie und das Zuhause, sondern fühlt sich sofort wohl. Durch meine gleichaltrige Gastschwester Macarena, hatte ich von Anfang an Freunde, an die ich mich zum Beispiel in der Schule bei Fragen oder Problemen, wenden konnte. Am beeindruckendsten für mich waren aber diese Lebensfreude und der Optimismus, den alle Argentinier ausstrahlen. Obwohl sie im Vergleich zu Deutschland einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard haben und teilweise nicht einmal wissen, wie sie ihre Kinder am nächsten Tag ernähren sollen, sind sie einfach glücklich und zufrieden mit dem, was sie haben. Diese Haltung hat sozusagen auf mich abgefärbt und es ist auch wieder in der Heimat ein Stück weit diese Lebensfreude, die eine große Rolle für mich spielt und den Schulalltag erträglicher macht. Der erste Tag in der Schule war total aufregend. Jeden Morgen vor dem Unterricht müssen sich alle Schüler in der Aula oder im ‚patio‘ versammeln, in Reihen aufstellen und mucksmäuschenstill zusehen, wie die Flagge gehisst wird. Dort wurde ich auch vorgestellt, was für mich ziemlich schrecklich war, weil alle mich anstarrten. Der Unterricht war immer sehr unterhaltsam. Vormittags war ich in 1° Naturales. In meiner Klasse waren 65 Schüler, sodass es bis zur Trennung unseres Kurses sehr schwer war, sich auch nur zu seinem Platz zu bewegen. Dementsprechend hatten die Lehrer überhaupt keine Kontrolle über die Klasse und wir hatten immer sehr viel Spaß. Natürlich ist das Niveau deshalb ziemlich niedrig. Aber die Klassengemeinschaft ist sehr gut und auch der Umgang mit den Lehrern ist viel entspannter. Nachmittags bin ich freiwillig in einige Fächer von 2° Sociales gegangen. Da meine Gastmutter Vizedirektorin meiner Schule ist, konnte ich so auch Kontakte und Freundschaften knüpfen mit Schülern, die aus dem Nachbarort Saujil sind. Die Fächer sind an meiner Schule fast alle gleich gewesen wie in Deutschland. Die Ausnahme war Danza. Im Nordwesten Argentiniens sind viele Folklore-Tänze entstanden, die dort eine sehr große Bedeutung haben. Deshalb lernten wir auch in der Schule, wie man Gato und Chacarera tanzt. Außerdem gibt es sehr viele ‚actos‘ an verschiedenen Feiertagen, z.B. am Todestag von San Martín oder am Tag der Unabhängigkeit Catamarcas. Am Anfang war es für mich ziemlich komisch. Bei großen Feiertagen waren dann auch große Umzüge, an denen alle Schulen des Ortes teilnehmen und gemeinsam jedes Mal die argentinische Hymne singen. Wenn man aber als Ausländer diese patriotische Grundhaltung akzeptiert, dann kann man auch viel besser die Mentalität der Argentinier verstehen. Sie sind sehr leidenschaftlich und nationalistisch, besonders, wenn es um Fußball geht. Immer, wenn die selección ein Spiel hatte, waren es Festtage und man traf sich, um gemeinsam die Partie zu sehen und hinterher zu feiern oder auch zu trauern. Feiern spielt eine große Rolle, besonders für Jugendliche. Deshalb gibt es in jedem Dorf ein Boliche. Gewöhnungsbedürftig waren aber für mich die Zeiten, an denen man ausgeht. Wir trafen uns meistens erst nach Mitternacht, um drei Uhr morgens öffnet das Boliche und gegen acht Uhr kehrt man wieder nach Hause zurück. Ein schönes Erlebnis war der 15. Geburtstag einer Freundin von mir. In meiner Region ist dieser Geburtstag sogar wichtiger wie eine Hochzeit und es war ein großes Fest, bei dem fast das ganze Dorf da war. Auch am Wochenende trifft man sich immer mit Freunden und unternimmt etwas. Für mich als Deutsche war es zwar ziemlich schwer am Anfang, mich an die Spontanität, die Planlosigkeit und vor allem an die Unpünktlichkeit der Argentinier zu gewöhnen. Bei unserem ersten Treffen in der Ortsmitte war ich pünktlich um vier da, musste aber mehr als drei Stunden warten, bis der erste meiner Freunde auftauchte. Relativ schnell lernt man aber sich ihrem Rhythmus anzupassen und tickt ‚argentinisch‘. Ein besonderes Highlight war für mich das Sandboarden. Durch das wüstenhafte Klima, gibt es eine riesige Sanddüne im Nachbardorf. Beim Sandboarden schnallt man sich einfach ein Brett unter die Füße, ähnlich dem Snowboarden, und fährt los. Solche und andere Sachen unternahmen wir immer gemeinsam und hatten dabei viel Spaß. Wenn es sehr kalt war, sind wir zusammen in die 15 Kilometer entfernten Termas de Fiambalá gefahren. Da die Region vulkanischen Ursprungs ist, gibt es heiße Quellen. Bei Außentemperaturen von gefühlten -30°C war es dann natürlich sehr angenehm in bis zu 43° warmem Wasser zu baden. Leider vergingen meine drei Monate in Fiambalá viel zu schnell und ich musste Ende Oktober schon wieder nach Hause fliegen. Aber ich werde auf jeden Fall noch viele Male zurückkehren, denn es war die beste Zeit meines Lebens. Dort habe ich gelernt, was es heißt, wirklich zu leben. Meine Freunde haben durch ihre Fröhlichkeit und ihren Optimismus auch mich verändert und werden immer einen Platz in meinem Herzen haben. Argentinien ist mein Heimatland, das ich für immer lieben werde! Auf die Frage, ob ich es weiterempfehlen würde, habe ich immer aus voller Überzeugung ja gesagt. Wenn jemand bereit ist, sich hundert Prozent auf ihre Lebensweise einzulassen, dann empfehle ich es sehr, für einige Zeit dort hinzugehen. Man kann so Lateinamerika viel besser verstehen lernen und sieht nicht nur die Problemzone in ihr, sondern kann auch erleben, was es heißt, in Freiheit zu leben. Man findet Freunde fürs Leben und lernt nebenbei spielerisch ihre Sprache. Ich hoffe, mit meinen Erfahrungen auch viele Andere davon überzeugt zu haben, nach Argentinien zu gehen. Es ist ein tolles Land, aber noch viel toller sind die Menschen dort. Auf jeden Fall ist es lohnenswert dieses Paradies kennenzulernen, mit all seinen Traditionen und Bräuchen. Versucht es einfach und ihr werdet genauso begeistert zurückkehren wie ich! Liebe Grüße Theresa B. Fiambalá, Provincia de Catararca, Argentina