Als für mich feststand, dass ich mein Auslandsjahr in England in der Küstenstadt Torquay verbringen durfte, war ich völlig aus dem Häuschen. Denn obwohl ich die englische Kultur schon immer sehr mochte, die Aussicht eventuell in eine verregnete Kleinstadt zu kommen, war dann doch etwas abschreckend. Doch dann kam dieser langersehnte Brief und als ich dann Torquay stundenlang googelte, war für mich klar: Wenn ich schon so ein Glück mit der Stadt habe, dann können die kommenden Monate nur ein Erfolg werden! Auch mit meiner Gastfamilie hatte ich im Vorfeld schon per Mail Kontakt, wir schickten uns Fotos und ich wurde immer neugieriger, diese ganzen Menschen jetzt endlich live kennenzulernen. Nach einer letzten Woche in Berlin, in der ich immer irgendwo zwischen Vorfreude und Unsicherheit schwankte, saß ich schließlich im Flieger und wie in einem schlechten Film kullerten natürlich die Tränen beim Abflug. Der erste Tag war für mich im Nachhinein wie ein Traum, alles wirkte unwirklich. Als wir letztendlich nach einer langen Busfahrt auf dem beschaulichen Busparkplatz in Torquay einrollten und ich meinen Gastvater und meinen zweijährigen Gastbruder auf mich warten sah, konnte ich alles nicht realisieren. Ich war jetzt wirklich dort, dieser Ort war kein Google-Earth Satellitenbild mehr, sondern greifbar. Nach einem kleinen Anfangsschock legte sich meine Aufregung in den nächsten Tagen und übrig blieb dieses tolle Gefühl, einfach jeden einzelnen Tag irgendetwas Neues zu entdecken. In der Schule, die in einem sehr niedlichen kleinen Nachbardorf (Totnes) lag, wählte ich die Fächer Philosophy/Ethics, French, Psychology und Human Biology. Mit einigen anderen deutschen Schülern war ich bald sehr gut befreundet, es war einfach gut, jemanden in der Nähe zu haben, der ähnliche Sorgen hat und dich versteht. Zu dritt schlossen wir dann aber auch bald Freundschaft mit einigen englischen Mädchen, wurden zu Sleepovers eingeladen und gingen ins Kino. Trotzdem würde ich sagen, dass mein größter Halt in England nicht meine Freunde waren, sondern meine Gastfamilie. Ich hatte von Anfang an einfach das Gefühl, komplett einbezogen zu werden. Meine ständig sprudelnde Gastmutter, der zurückhaltende Gastvater mit dem trockenen Humor und meine kleinen Gastgeschwister waren immer da, um mich aufzufangen, wenn das Heimweh kam. Zusammen besuchten wir Freizeitparks, feierten Halloween oder machten uns einfach einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher. Die Eingewöhnung war daher nicht allzu schwer, über Skype hielt ich den Kontakt zu meiner deutschen Familie und meinen Freunden, aber auch das wurde in den letzten Monaten immer ein bisschen weniger. In der Schule wurde ich optimal gefördert, meine Lehrer waren stets bemüht, meine Talente herauszuarbeiten. So wechselte ich schon bald in einen höheren Psychology-Kurs und meine Philosophy/Ethics-Lehrer ermutigten mich sogar dazu, frühzeitig ein Examen in ihrem Fach zu schreiben und gaben mir Einzelunterricht. Am Ende der sieben Monate verließ ich England zwar mit einem sehr melancholischen Gefühl, freute mich aber trotzdem unbändig auf zu Hause. Denn auch das ist ein guter Begleiteffekt eines Auslandsaufenthalt: Man lernt auch seine deutschen Freunde besser kennen, wer bleibt einem treu und interessiert sich und wer nicht? Jetzt, wo ich wieder in Deutschland zur Schule gehe, merke ich, wie sehr ich von diesem Jahr profitiert habe. Ich bin reifer und selbstständiger geworden. Im Leistungskurs Englisch kann ich jetzt von meinen Sprachkenntnissen guten Gebrauch machen und auch generell bin ich ein großes Stück selbstbestimmter geworden. Im Sommer besuchten mich zwei englische Freundinnen hier in Berlin. Kurz nach Weihnachten werde ich mit einer deutschen Freundin, die ich in England kennengelernt habe, zurück nach England fahren, um gemeinsam mit den Engländern New Year‘s Eve zu feiern, meine Gastfamilie wiederzutreffen und um einfach mal wieder gemütlich in einem der vielen Cafés einen guten, englischen Tee zu trinken. Konstanze Nastarowitz Torquay, England