Da saß ich nun im Flugzeug nach Kanada, ich, Franziska, 15 Jahre alt. Meine Familie hatte ich gerade am Gate A 85 auf dem Frankfurter Flughafen verabschiedet und für ein halbes Jahr in Deutschland zurückgelassen. Ein bisschen mulmig war mir schon zumute, denn ab jetzt war ich auf mich allein gestellt. Aber ich wollte es ja so! Zum Glück sind mit mir noch sehr viele andere Austauschschüler nach Vancouver geflogen. Während des zehnstündigen Fluges hatten wir genug Zeit erste Kontakte zu knüpfen und es war beruhigend zu spüren, dass es den anderen Schülern genauso ging wie mir. Ich konnte mir noch gar nicht richtig vorstellen, in einer Gastfamilie zu wohnen und nur noch Englisch zu sprechen. Auf meine neuen Geschwister und Eltern war ich natürlich total gespannt und neugierig! Aus den Mails, die wir bereits ausgetauscht hatten, wusste ich schon einiges über meine Gastfamilie. In meinem Bewerbungsprofil hatte ich mich als tierlieb beschrieben und freute mich besonders, dass es in meiner zukünftigen Familie einen Hund und eine Katze gab. Bei der Ankunft am Airport Vancouver wurden wir, die Austauschschüler aus vielen Ländern der Welt, immer aufgeregter. Man hörte nur noch ein Stimmengewirr von 50 durcheinander sprechenden Jugendlichen. Als wir dann in kleinen Bussen abgeholt und durch das wunderschöne Vancouver gefahren wurden, waren wir auf einmal alle sprachlos! Schon der Busfahrer war lustig, richtig nett und sozusagen der Prototyp eines freundlichen Kanadiers. Vor meinem zukünftigen Zuhause angekommen, mussten wir erstmal meine zwei schweren Koffer, gefüllt mit Kleidung für 6 Monate, die Auffahrt herauf schleppen. Ich klingelte und es tat sich für eine Minute (gefühlte zehn Minuten!) gar nichts. Dann öffnete ein lächelndes Mädchen mit blonden, langen Engelslocken die Tür und sagte: “Hi, I’m Morgan!“ Als nächstes stürzte sich meine Gastmutter auf mich, umarmte mich ganz fest und rief: “Welcome in Canada!“ Meinen Gastvater Bill hab ich erst abends kennengelernt, als meine Gastmutter und ich mit Max, dem weißen Westhighland-Terrier spazieren waren und sie mir die Gegend zeigte. Bill kam die Straße ganz cool mit dunkler Sonnenbrille und in seinem Cabrio sitzend, hochgefahren, und begrüßte mich herzlich. Außerdem hatte ich auch noch einen Gastbruder. Dylan, 21 Jahre alt, war wie ein richtiger großer Bruder für mich. Er ärgerte und neckte mich am laufenden Band und wir haben immer viel zusammen gelacht. Zip, Dylans schwarze Katze, schnüffelte gleich an meinen Sachen herum. Wenn sie und Max sich nicht durchs ganze Haus jagten, versuchte sie ein offenes Fenster zu erwischen um auszubüchsen. Sie hatte strengste Ausgangssperre, denn einen Spaziergang in Freiheit hätte sie wegen den Bären und Cougars keinen Tag überlebt. In den ersten 2 Wochen war alles noch ein bisschen komisch. Ich war 8090 Kilometer von meiner Familie und meinen Freunden entfernt, hatte noch ein paar Probleme mit der englischen Sprache und kannte mich in der Stadt Vancouver noch nicht so gut aus. Doch schon nach ungefähr 4 Wochen konnte ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen. Ich träumte und dachte auf Englisch, hatte viele neue Freunde gefunden und wurde zu einem gleichberechtigten Mitglied meiner Gastfamilie. Kurz gesagt: ich war eine Tochter der „Cosmans“. Meine Schule, die Sentinel Secondary School, war super und total anders strukturiert als deutsche Gymnasien. Ich war in der 10. Klasse, belegte jedoch einige Kurse in der 12. Klasse, da mein Lernstand in einigen Fächern dem der 12. Klasse entsprach. Jeder Schüler einer kanadischen High School hat acht Schulfächer und jeden Tag vier davon. Es gibt also 2 Tage mit jeweils 4 Schulfächern, die sich stets abwechseln. Eine Schulstunde dauert 90 Minuten und die Mittagspause liegt zwischen der dritten und letzten Stunde. Die kanadischen Lehrer sind unglaublich nett und hilfsbereit und behandeln alle Schüler wie Freunde. Den berühmten „High School Spirit“ durfte ich miterleben und ich war gleich am ersten Tag davon begeistert! Überhaupt war die ganze Schule sehr engagiert. In der Mittagspause gab es fast jeden Tag ein Event, bei dem wir immer total Spaß hatten. Einmal wurde zum Beispiel zum „Pyjama day“ aufgefordert. Das bedeutete, dass jeder im Pyjama kommen musste. Dafür gab es dann kostenlose „pancakes“ mit Maple Syrup für alle. Da haben meine Freunde und ich natürlich richtig zugeschlagen! Außerdem werden an kanadischen Schulen viele unterschiedliche Sportarten angeboten. Wenn man sich einer Sportgruppe anschließt findet man schnell neue Freunde und kann tolle Erfahrungen sammeln. Basketball und Crosscountry waren die Sportarten, die ich über die 6 Monate verteilt, ausgeübt habe. Bei dem Versuch den „Champions ship“ zu gewinnen, wird man unbemerkt zum Team! Man trainiert und lacht viel zusammen und versucht seine Schule so gut wie möglich zu vertreten. Besonders die Rückfahrten im Bus von den Wettkämpfen, mit Gelächter, lauter Musik und Pizzaessen sind mir im Gedächtnis geblieben. Wir hatten jede Menge „fun“! Unter „Crosscountry“ versteht man das Rennen über Stock und Stein, bergauf und bergab, einfach querfeldein! Das ganze Team hatte jede Woche ein Rennen, wobei jeweils die Mädchen- und Jungen-Crew gegen die entsprechenden Teams von allen anderen Schulen im Umkreis angetreten sind. Ich war begeistert dabei und wollte mir eine richtig gute Kondition antrainieren. Insbesondere an mein allererstes Rennen kann ich mich noch sehr gut erinnern! Ich wusste, dass alle Läufer extrem schnell waren und hatte mir fest vorgenommen, irgendwie mitzuhalten. Zwar hatte ich mich vorher nicht über die Distanz informiert, dachte aber, dass sie uns natürlich nicht gleich die längste und schlimmste Strecke aussuchen würden. Nach dem Startschuss habe ich deshalb auch gleich richtig losgelegt. Tatsächlich setzte ich mich an die Spitze der Truppe! „Na also“, dachte ich, „geht doch!“. Alle, die mich kannten, feuerten mich wie wild an und schrien „Francesca, Francesca!!!! Come on!“. Ich war die Erste!!! Für ganze 3 Minuten nur, leider!!!! Dann überholten mich nacheinander 43 von insgesamt 70 Läufern!!! Mir ging die Puste aus. Irgendwie schaffte ich es aber, durchzuhalten und anzukommen. Im Ziel dachte ich, ich müsste sterben! Meine Lunge hing mir fast zum Hals heraus, aber nach und nach und unter dem Zuspruch meiner Teamkollegen erholte ich mich wieder. In der Schule haben wir dann allen erzählt, dass ich Erste war, wenn auch nur für drei Minuten. Mein Team und meine Freunde haben sich amüsiert und mich damit natürlich noch lange aufgezogen, aber das war es wert! Beim nächsten Rennen machte ich dann natürlich alles anders! Den „School-Champions-ship“ haben wir übrigens dann doch noch geholt! Mein Leben in Vancouver war sehr anders, aber total cool! Das Einleben dort fiel mir kein bisschen schwer, eher das Zurückkommen in das kleine Schwetzingen. Man ist, wenn man in einer Gastfamilie wohnt, viel freier, selbstständiger und muss viele Sachen alleine bewältigen und regeln. Dadurch wird man selbstbewusster, offener und erwachsener. Außerdem sind die meisten Gasteltern echt locker und so kam ich oft mit meiner Schwester erst spät abends von langen Spaziergängen am Strand nach Hause... Ich konnte mich besonders glücklich schätzen, nach Vancouver zu dürfen. Bei 30 Grad im Sommer war ich mit Freunden am Strand und manchmal im Meer schwimmen (auch wenn das Wasser eiskalt war!). Im Winter trafen wir uns nach der Schule zum Ski fahren auf dem nur 20 Minuten entfernten Berg mit Blick aufs Meer. Das war einfach „totally awesome“! Vor allem die Weihnachtszeit werde ich nie vergessen! Es war interessant mitzuerleben, wie Kanadier Weihnachten feiern und es war total komisch, seine Geschenke am 25. Dezember morgens im Schlafanzug zu erhalten. Außerdem war jeder so entspannt und fröhlich, mancher sogar zu entspannt…. Mein Gastbruder Dylan kam am 24. Dezember plötzlich nachts zu mir ins Zimmer, weckte mich auf und fragte, ob ich ihm beim Geschenke einpacken helfen könne. Er hatte es total vergessen. Und so saß ich mit ihm um 3 Uhr morgens im Wohnzimmer und half. Was man nicht alles für seine Geschwister macht! Insgesamt kann ich kaum Negatives berichten. Natürlich vermisst man am Anfang seine Familie, sein Zuhause oder seine Freunde. Ab und zu nervt es, dass man für alles alleine zuständig ist. Wenn man z.B. die Fahrpläne studieren und die Busfahrten regeln muss und es keine Mami gibt, die einen mal schnell in die Stadt fährt. Zu Beginn des Aufenthaltes kommt es natürlich vor, dass man sich in der Fremdsprache noch nicht so gut ausdrücken kann. Bei mir hatte sich diese Unsicherheit bereits nach drei Wochen gelegt. Nach ca. vier Wochen habe ich auf Englisch gedacht und geträumt und ich weiß aus Unterhaltungen, dass das auch den anderen Austauschschülern so ging. Sprechen in der Fremdsprache wird irgendwann total normal und mir fielen nach einiger Zeit sogar teilweise die deutschen Wörter nicht mehr ein! Ich bin wirklich froh, dieses Auslandshalbjahr gemacht zu haben. Das Land und die Kultur haben mir richtig gut gefallen. Mit den Kanadiern muss man einfach Spaß haben, sie sind lockerer drauf und nehmen das Leben leichter als die Deutschen, eben: “easy going“. Es war eine tolle Erfahrung, einmal woanders zu leben und ein anderes Schulsystem kennen zu lernen. Ich habe neue Freunde auf der ganzen Welt gewonnen, mit denen ich immer noch in Verbindung stehe. Jedem, mit der Möglichkeit ins Ausland zu gehen, würde ich raten, es unbedingt zu tun. Man lernt vollkommen verschiedene Menschen kennen, sammelt viele neue Erfahrungen, gewinnt andere Einblicke, kann sich selbst Meinungen bilden und gewinnt vor allem Vertrauen zu sich selbst. Diese komplexen Erfahrungen werden einem im Leben voranbringen und weiterhelfen. Ich spare schon jetzt auf meine nächste Reise nach Vancouver! Kanada empfinde ich als mein zweites Zuhause. Ich bin froh, bei meiner Gastfamilie immer willkommen zu sein und werde sie so schnell wie möglich wieder besuchen.