Alles beginnt mit der Sehnsucht nach etwas. Bei mir war es die Sehnsucht nach dem Ausbruch aus einem Leben was in gewissen Ansätzen an Monotheismus gewann. Meine Leidenschaft nach der Weite der Welt wurde von Tag zu Tag stärker und eine innere Stimme in mir rief nach der Ferne. Ich wollte wieder etwas erleben, was den Appetit nach Leben fütterte und meinen Horizont erweitern würde. Für mich war also der Entschluss gefallen. Ich gehe weit, weit weg, um etwas zu entdecken, was mir fremd war. Ich nahm meinen Mut zusammen und ich zerschlug, wenn auch nur für kurze Dauer, die Brücken in meine Heimat und kehrte ihr den Rücken. Mein Blick, meine Konzentration und meine Begeisterung galten dem was vor mir lag. Ein Abenteuer. Ich (17), eine Junge aus Berlin habe so den Entschluss gefasst zu gehen und zwar nach Kanada. Tausende von Kilometern würden mich nun von der gewohnten Umgebung, wie Freunden, Familie und natürlich auch der Schule trennen. Der Moment am Flughafen an dem es nun hieß Abschied zu nehmen gestaltete sich weniger sentimental. Es fühlte sich für mich wie ein kalter Verrat an meinen Geliebten an, da ich ihnen so auf eine doch sehr subtile Art klarmachte, dass sie mir im Moment nicht reichten und dass ich mehr wollte, bzw. etwas anderes. Die Familie und Freunde wurden also verabschiedet und ein kurzer Blick über die Schulter geworfen und schon verschwand ich im Flugzeug und mein dreimonatiges Abenteuer begann. Die Maschinen heulten auf und der träge Flieger erhob sich und löste sich von der Erde. Nun kam ich meinen Ziel immer nähr. Jede einzelne Sekunde ließ meine sichere Distanz zu meinem neuen, selbstgewählten Leben schwinden, doch die Nervosität nahm nicht zu. Ich beschäftigte mich intensiv mit meinem persönlichen Bordunterhaltungsprogramm und ich unterhielt mich mit einigen Fluggästen. Zeit verschafft Kontakte, dass habe ich auf jedenfalls schon mal gelernt. Eine Passagierin, die mit ihrem Neugeborenen ihren Mann und seine Familie in Vancouver besuchen wollte, lud mich doch glatt einfach zum Essen ein. Sie meinte ein netter junger Mann wie ich sollte ihren Mann kennen lernen. Ich war baff und ich wusste in diesem Moment, dass alles super wird. Das Essen habe ich jedoch zu meiner Schande nie wahrgenommen, denn es ist schon ein wenig merkwürdig gewesen. Na ja, ich verquatsche mich. Nach einer Anreise von ca. 15 Stunden kam ich endlich in Maple Ridge an, einer kleineren Vorstadt von Vancouver. Meine ganze Gastfamilie wartete bereits auf mich und begrüßte mich überschwänglich. Sechs Kinder (2,4,6,10,13,15) plus die Eltern, dass ist mal ne Großfamilie. Meine Gastfamilie fragte mich dann, ob ich mich ausruhen wolle, wegen der Zeitverschiebung, welche immerhin 9 Stunden beträgt. Ich spürte jedoch nicht im Geringsten das Verlangen nach Schlaf, ich denke das kann ich machen, wenn ich tot bin. Nach einer kurzen Zimmerinspektion und nach der Feststellung, dass ich ein Bad ganz allein für mich hatte, also kein Grund zur Beschwerde, ging es auch schon wieder wild her. Die Kinder und ich spielten draußen. Basketball, Hockey und Baseball. Ich bin nicht unbedingt der der sofort hier schreit, wenn es um Sport geht, aber es war doch recht amüsant. Da Osterferien waren musste ich erstmal nicht zur Schule. Es heiß also Osterdinner bei den Großeltern, was wirklich ein tolles Erlebnis war, sogar ein paar Kleinigkeiten wurden für mich versteckt. Ebenfalls bin ich dann noch mit meinem Hostfather auf der Fähre nach Viktoria, ein wirklich nette Stadt gefahren. Viktoria ist ein wirklich englisches Juwel, welches man gesehen haben sollte, wenn man nach B.C. fährt. Überall alte englische Gebäude, welchen diesen Charme haben, welchen einst das englische Commonwealth versprühte. Schon bald war er dann auch schon da, der Tag der Tage, der Tag, auf den man sich freute, dem man aber auch mit Furcht entgegensah. Mein erster Schultag. Jeder kennt es, wenn man sich vor etwas fürchtet und sich nur das Schlimmste ausmalt. Bei mir war es so. Ich ging mit einem mehr als flauem Gefühl zu Bett und befürchtete, dass meine Schulzeit vielleicht furchtbar werden könnte. Ich legte mir also extra nette Sachen raus, klingt zwar irgendwie albern und eine bisschen mädchenhaft, aber der erste Eindruck zählt und ich muss sagen, diese amerikanischen Spielfilme, in welchen diese Gruppenbildung mehr als deutlich dargestellt wird, waren nicht unbedingt hilfreich mein Innenleben zu beruhigen. Na ja, ich sagte mir dann: Augen zu und durch. Mein Wecker klingelte und ich schlüpfte aus dem Bett und sprang unter die Dusche und tapste vorsichtig die Treppe hinauf und begab mich an den Frühstückstisch. Es war an diesem Morgen recht wild, denn ich war ja nicht der Einzige für den es hieß, dass die Schule wieder begann. Ich betrat dann also die Schule, einen wirklich modernen, aber sehr verwinkelten Komplex, typisch High School eben. Mir wurde dann feierlich von der Schulleitung ein Schulplaner übereicht und die Schule gezeigt. Ich kam gar nicht mehr aus dem Stauen heraus. Die haben ein Theater, eine Autowerkstatt, eine Turnhalle, eine Bücherei etc… Gegen diese Schule sieht meine Schule mehr als provinziell aus. Ich fühlte mich also wohl. Maria Montessori sagte einmal: „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“ Und ich glaube diese Schule ist dafür perfekt und Montessori würde bei ihrem Anblick in Tränen ausbrechen. Nach der beeindruckenden Schulführung ging es auch zum Unterricht. Meine erste Stunde war Englisch. Ich ging also selbstbewusst und zielsicher in den Klassenraum, unter meinem Arm der Schülerplaner der Schule, welcher zeigen sollte: “Hey, ich bin einer von euch. Long live Thomas Haney.“ Mein Plan schien zu funktionieren, ob der Schülerplaner der Anlass war, schon möglich. Ich unterhielt mich und musste sagen woher ich komme und all das auf Englisch, was an sich ganz gut klappte, dem Vokabellernen sei Dank. Dann war es auch schon Zeit für Lunch. Die wohl bedeutendste Prüfung, welche es an meinem ersten Tag zu bestehen galt. Zum Glück erkannte mich eine Japanerin, Hitomi, aus meinem Englischkurs wieder und winkte mich heftig zu sich heran. Ich war so dankbar. Einfach so dankbar. Ich setzte mich also. An dem Tisch saßen einige Kanadier und noch ein Mexikaner, José und eine Deutsche, Lena, mit welcher ich auch allein nur Englisch sprach. Wie es der Zufall so wollte wurden wir sehr gute Freunde. Nun ist es schon einige Zeit her, dass mein erster Schultag anstand und ich kann nun wirklich sagen, es ist herrlich. Meine neuen Freunde wohnen in meiner Nachbarschaft und wie sehen uns jeden Tag auch außerhalb der Schule. Wir sind die fantastischen Vier. José ist zudem nun mein Gastbruder geworden. Er hatte ein paar Probleme mit seiner alten Gastfamilie und so zog er zu mir, auf meine Anfrage hin. Meine Gastfamilie, die eh 2 Zimmer für internationale Schüler hatte, begrüßte die Idee und so war mein guter Freund auch noch mein Gastbruder. Ebenfalls freundete ich mich sehr mit Anni an und wir machten echt viel zusammen. Whale Watching, Kunstgalerien, Museen, Parks, Einkaufsstraßen, nichts war sicher vor uns. Was ich nicht alles erlebte. Ich war bergsteigen, campen, was für mich als Städter ein recht interessante Erfahrung war, zumal das Wetter mehr als wechselhaft war. Fahrradtouren, Prom, Schulveranstaltungen, Windsurfen vor der Küste Kanadas und, und, und. Ich ließ nichts aus. Ich machte einfach alles und genoss jede Sekunde. Mein Ziel etwas Neues zu erkunden und zu erleben war erreicht. Ich erlebte etwas. Als ich ankam, war mein Horizont ein Kreis mit dem Radius Null und den nannte ich meinen Standpunkt. Witzhaft, einfach lächerlich. Ich habe mich in gewisser Hinsicht durch dieses Abenteuer verändert. Ich denke dies ist in gewisser Hinsicht der Preis einer solchen Reise. Diese Reise war eine Axt, die das gefrorene Meer in mir zerschlug. Ich kann nur wirklich jedem empfehlen so etwas zu machen. Es ist einfach gigantisch. Auch wenn es sich manchmal vor Ort nicht so anfühlt. Als ich in den Flieger steig und Kanada den Rücken kehrte und somit auch vielen meiner neuen Freunden verspürte ich Trauer und Freude. Freude das Alte neu zu entdecken und Trauer, das Neue zu verlassen. Es kam mir indem Moment als ich das Flugzeug stieg so vor, als ob ich eine tiefe Liebe soeben verließ. Henry Kochanowski Thomas Haney Center, Maple Ridge 2010