Von einer Pazifikinsel Ich weiß nicht mehr genau, was mich speziell an Salt Spring so gereizt hat. Ich denke, es war die Vorstellung von der Lebensweise auf einer Insel oder von Lagerfeuern am Strand und Baden im Pazifik. Im Nachhinein bin ich mir ziemlich sicher, dass all diese damals noch so verschwommenen Vorstellungen wahr und somit Teil einer traumhaften Zeit geworden sind. Ich habe nachts am Strand Marshmallows und Hot Dogs gegrillt, war in meiner Lunch Pause im Ozean baden und habe das familiäre Zusammenleben auf der Insel und an der Schule schätzen und lieben gelernt. Bei jedem Besuch im Supermarkt trifft man auf mindestens fünf Leute, mit denen man sich, wenn auch nur kurz, unterhalten kann. Alleine das kurze „Hey, how’s it going?“ vermisse ich jetzt in Deutschland als freundliche Geste. Es stimmt schon, dass die Kanadier alle sehr friedlich und liebenswürdig sind. Ich habe zum Beispiel weder auf noch außerhalb der Insel jemals einen einzigen schlecht gelaunten Busfahrer getroffen. Auf ganz Salt Spring herrscht ein gewisses „hippie-feeling“ und hier und da stehen Sprüche à la „Make Love not War“ an den Wänden. Auch wenn es uns Austauschschülern verboten ist: Hitch-Hiking, also Trampen, ist auf der Insel neben dem eigenen Auto die am weitesten verbreitete Fortbewegungsart. Was sich für mich als größtes Problem heraus gestellt hat, war der ständige Fahrservice, den ich meinen Gasteltern abverlangen musste, um überhaupt von einem Teil der Insel zum anderen zu gelangen. Zusammen mit meiner gleichaltrigen Gastschwester und meinem bereitwilligen Gastvater hat es allerdings so gut wie immer funktioniert, es ist eben nur etwas anstrengend und kompliziert. Außerdem gibt es seit ca. einem halben Jahr Busse, die ein paar Mal täglich vom Nordend bis zum Ferry Terminal im Süden fahren. Neben dem Schulbus und dem Toyota meiner Gastfamilie waren Pick Up Trucks und Fähren meine Haupttransportmittel. Mit Freunden fährt man oft zum Shoppen nach Victoria, manchmal auch nach Vancouver, was allerdings einen gesamten Tag in Anspruch nimmt. Bei drei Tagen Wochenende allerdings leicht machbar. Der Teil, der mir am meisten Spaß gemacht hat, war eigentlich das „Nachtleben“ auf der Insel. Solange meine Gastmutter wusste, wo ich bin und wenn meine Gastschwester dabei war, war es eigentlich nie ein Problem. In den meisten Fällen fand sich am Ende des Abends jemand, der uns einen „ride“ nach Hause gegeben hat, oft war es auch der Taxifahrer für teures Geld. Zu den Partys kommt eigentlich jeder, ob eingeladen oder nicht, von der gesamten High School und auch Leute, die in den Jahren davor Abschluss gemacht haben. Es wird viel getanzt! Für mich war es eine gute Möglichkeit, Leute außerhalb der Schulatmosphäre kennen zu lernen. Mit meiner Gastfamilie hatte ich so gut wie keine Probleme. Ein großer Vorteil war meine auch 16-jährige Gastschwester, mit der ich viele Gemeinsamkeiten hatte und die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Außerdem wohnte die zwölfjährige Tochter mit im Haus. Mein etwas älterer Gastbruder wohnte zu der Zeit in Vancouver, war allerdings regelmäßig zu Besuch. Die dritte Gastschwester pendelte zwischen Montreal, Dänemark und Uganda. Zu Weihnachten war sie auch auf Salt Spring. Ich war sehr zufrieden mit der Konstellation, weil meine Gasteltern so weder mich noch ihre eigenen Kinder überbehütet haben. Bei uns wurde sehr gesund und abwechslungsreich gegessen, fast ausschließlich mit frischen Zutaten und immer mit Salat. Die Kinder bekamen jeden Morgen Essen für die Lunch Pause gemacht. Selbst Situationen, vor denen ich vorher Angst hatte – wie Weihnachten, Geburtstag und Silvester – waren im Endeffekt sehr interessant, wenn auch trotzdem eine Umstellung. Vor allem Weihnachten ist toll. Das lange Wochenende (freitags ist an meiner Schule generell schulfrei) ist nicht der einzige Vorteil an der Gulf Islands Secondary School. Das Kursangebot reicht von Kunst über Dance und Drama bis zu Law und Media Arts. Wer vorhat, das Schuljahr in Deutschland noch einmal zu machen, dem würde ich vom klassischen Mathe und Französisch abraten, weil die da doch nicht so ganz auf unserem Stand sind. Macht allerdings trotzdem Spaß. Aber auch die Kurse sind aus meiner Sicht nicht der größte Pluspunkt der Schule, sondern diese unglaubliche Beziehung zwischen Schülern und Lehrern. Die Lehrer dort sind engagiert und man merkt, dass ihnen wirklich etwas daran liegt, dass die Schüler bei ihnen etwas lernen. Es gibt spezielle Programme für Schüler, die schulische oder familiäre Schwierigkeiten haben. In der 50-minütigen Lunch Pause schmeißen Schüler Geburtstagspartys mit Musik und Kuchen für ihre Lehrer, mein Englischlehrer spielte eine der Hauptrollen im jährlichen (fantastischen) Musical. Immer wieder werden Fußball-, Volleyball- oder Dodge-Ball Turniere zwischen Schülerteams ausgetragen. Wer die Möglichkeit hat, Ausflügen des International Programs mitzumachen, zum Beispiel nach Tofino, sollte das AUF JEDEN FALL tun! Ich würde seit dem ersten Mal Tofino gerne täglich Wellenreiten gehen. Der Mt. Washington ist zum Snowboarden und Skifahren auch der schönste Ort, den ich je gesehen habe. Außerdem habe ich mit einer Schülergruppe an einer dreitägigen Tour durch die Rocky Mountains in Alberta teilgenommen. Die Organisation und Betreuung vor Ort ist sehr gut, was daran liegt, dass gut 10% der Schüler von überall auf der Welt kommen. Es heißt, wir würden eine dringend benötigte Abwechslung und frische Gesichter auf die Insel bringen, denn die meisten High School Freunde haben schon zusammen im Sandkasten gespielt. Letztes Jahr waren ca. 20 Deutsche an der Schule, was eine ganze Menge ist. Natürlich ist es erst mal schwer, sich ganz von ihnen und damit seiner eigenen Kultur und Sprache zu lösen, aber mit dem Willen, zu den „Kanadiern“ zu gehören ist es dann doch ganz einfach. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass talentierte Jungs (und Mädchen!) dem Soccer Team beitreten sollten, denn damit ist es um Einiges einfacher, neue Kontakte zu knüpfen. Eine grandiose Zeit war den Fußballspielern quasi garantiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meine Erinnerungen im Nachhinein auch ein wenig glorifiziere. Natürlich hatte auch ich schlechte Tage, an denen ich keine Lust hatte, zu allen Vorstellungen meiner Gastfamilie bloß ein „Yeah, sure“ abzudrücken, auch wenn ich nicht ganz zufrieden war. Und auch mit ganz neu kennen gelernten Leuten gibt es Mal Streit in der Schule. Aber das alles wirkt - im Vergleich zu der gesamten Zeit - wirklich so nebensächlich und unwichtig. Jetzt bin ich seit drei Monaten wieder da und die Zeit seit meiner Ankunft verging rasend schnell, genau wie die zehn Monate davor. Noch heute vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Kanada denke. Es fiel mir zunächst sehr schwer, mich wieder an das deutsche Leben und unsere unfreundliche Umgangsart zu gewöhnen. Die fiel mir schon in Frankfurt am Flughafen auf. In den Herbstferien fliege ich wieder zurück. Auch wenn es nur knappe zwei Wochen sind, lohnt es sich für mich auf jeden Fall, allein schon um meine Gastfamilie und Freunde wieder zu sehen. Heute gehe ich liebend gerne auf neue Menschen zu, mein Englischlehrer versteht mich nicht mehr, ich habe Freunde in allen Teilen der Erde, fühle mich selbstständiger und habe mich selbst in Bezug auf fast alles besser kennen gelernt. Ich bin stolz auf diese Eigenständigkeit, die ich auf Salt Spring entwickelt habe. Es macht mir richtig Spaß, auf Neues zuzugehen. Kaja K. Gulf Island Secondary School, Salt Spring Island, British Columbia