Mein Name ist Leon Kaulen und ich war von Januar bis Juni 2009 in der Sentinel Secondary School in West Vancouver, Kanada. Insgesamt war es einfach eine geniale Erfahrung! Bevor ich mich für den Austausch entschieden habe, habe ich länger darüber nachgedacht, wie es denn in einem fremden Land, in einer anderen Familie und an einer kanadischen Schule sein würde. So habe ich versucht, Kontakt zu Leuten zu bekommen, die schon Auslandserfahrungen hatten und/oder jemanden in Kanada kannten, der mir weiterhelfen konnte. Die Erfahrungsberichte haben mir sehr geholfen. Deswegen möchte ich jetzt im Gegenzug meine Erfahrungen weitergeben, in der Hoffnung, dass sie helfen! Fangen wir von vorne an. Die Wochen vor dem Abflug waren schon sehr stressig. Der Flug und der Auslandsaufenthalt wirkten anfangs immer in weiter Ferne, doch plötzlich schien alles immer näher zu kommen. Als im Dezember die Infos über die „future family“ kamen, war es klar: Der Countdown hatte begonnen - und man wartete und wusste nicht wirklich, was man erwarten sollte. Auf der einen Seite war da die unglaubliche Vorfreude auf das neue Land, eine andere Kultur und neue Menschen, auf der anderen Seite der Gedanke, tausende Kilometer von Freunden, Schule, Familie und allem anderen entfernt zu sein. Letztendlich war aber doch in den letzten Wochen zu viel los, um sich wirklich Gedanken zu machen… Gastgeschenke wurden gekauft (Pralinen, kommen immer gut, ein Bildband über meine Stadt und ein Kalender kamen noch besser an). Die Koffer gepackt und schon saß man im Flugzeug. Der Gruppenflug hat es dabei sehr leicht gemacht. Also keine Sorge! In Kanada am Flughafen angekommen, wurde ich dann von meiner Gastfamilie abgeholt. Ich wurde sehr herzlich empfangen und direkt gut aufgenommen. Meine Gastfamilie bestand aus meinem Hostdad George (60 und retired), meiner Hostmom Mary Ann (auch 60, arbeitet im Hospital und kümmert sich im Insurancefragen), meiner Hostsister Laura (21, Student an der University of British Columbia), dem Hostdog Cassie und meinem brasilianischen Gastbruder Luis. In meinem neuen Zuhause angekommen, wurde mir direkt alles gezeigt und mir gesagt, wie alles funktioniert, d.h. selbst die an sich simpelsten Dinge (wie das Schließen der Tür, ist allerdings auch gewöhnungsbedürftig). Ich verstand mich direkt super mit allen und fühlte mich schon Zuhause. Ich denke, das so herzliche Aufnehmen „Unbekannter“ (war ich ja eigentlich!) ist typisch kanadisch. Die Menschen geben einem direkt das Gefühl, willkommen und zuhause zu sein, was vieles gerade am Anfang leicht gemacht hat. Die erste Nacht im neuen Bett überstand ich gut, war allerdings noch nicht in der Zeit drin, so dass ich gegen sechs Uhr schon wach geworden bin. Jetzt hatte ich also einen Tag (Sonntag) Zeit, um alles Wichtige zu erledigen und zu besorgen, was ich für meine nächsten Tage und den ersten Schultag am nächsten Morgen brauchen würde. Ich hatte alle Schulsachen bis auf Stifte eigentlich in Deutschland gelassen, um nicht unnötiges Gewicht mitzunehmen (außerdem ist das Blattformat hier ein anderes). Auf jeden Fall hat mein Hostdad mich dann erst einmal ein bisschen durch West Vancouver gefahren und mir alles, was er für wichtig hielt gezeigt. So hat er mir z.B. gezeigt, wo die nächste Bushaltestelle von unserem Haus war, mir erklärt, wann Busse kamen, welche Linie ich nehmen musste und, und, und… Mein Gastbruder aus Brasilien (ging leider auf die West Van Secondary und nicht auf Sentinel) kannte alles schon (er war schon eine Woche vor mir angekommen) und konnte mir so auch ein bisschen helfen. In der Mall (Park Royal Shopping Centre) in West Van wurde ich abgesetzt und kaufte mir mein Monatsbusticket und eine kanadische Prepaidkarte und dazu Guthaben. Das mit dem Bus und Handy zu klären, war unbedingt nötig, da der Bus über die ganze Zeit eigentlich das Hauptverkehrsmittel gewesen ist und das Handy immer nötig war, z.B. um mit Freunden und Gastfamilie in Kontakt zu bleiben. Dazu noch eben schnell ein paar linierte Blätter und einen Ordner besorgt (niemand benutzt dort Hefte, weil es so viele Arbeitsblätter gibt) und fertig war ich. Ich weiß noch, wie nervös ich vor meinem ersten Schultag war, ich wusste einfach gar nicht, was mich erwartete, und dachte, ich werde einfach in eine Klasse reingesetzt. Ich dachte, ich würde mich irgendwie durchfragen müssen, um zum Office und zu den Klassenräumen zu kommen. Alles war aber letztendlich viel einfacher und weniger schlimm, als ich gedacht hatte: Meine Hostmom hatte mir (wie an jedem Schultag) ein Lunchpacket fertig gemacht. Ich wurde zur Schule gefahren, weil es mein erster Schultag war, und vor dem Haupteingang von Sentinel abgesetzt. In dem Foyer angekommen, schien alles erst einmal groß und beängstigend. Ich fand meinen Weg in das Office und wurde erst einmal in einen Raum gesetzt, wo schon drei andere Internationals warteten. Letztendlich stellte sich heraus, dass ca. 15 Internationals neu waren, so dass ich nicht alleine war. Es gab für uns alle an diesem ersten Tag einen Orientierungstag in der Schule. Es wurden uns alle Räume gezeigt, so dass man sich in der Schule danach gut zurechtfand, die Lehrer und Lehrerinnen wurden vorgestellt, der Stundenplan wurde erklärt (man hatte 8 Blocks, jeweils 4 pro Tag, die dann rotierten. Klingt alles viel komplizierter, als es eigentlich war) und außerdem wurden alle wichtigen Unterlagen wie z.B. der Schulkalender ausgeteilt. Nach dem Lunch, das wir ausnahmsweise gratis in unseren Raum bekamen, mussten wir noch zu Englisch-Sprachtests (Lese-, Hör- und Schreibtest), um unser Sprachlevel einzuordnen und uns so den richtigen Kursen zuzuteilen. Am Ende hatten wir alles hinter uns gebracht und es ging erschöpft und müde mit dem Bus nach Hause. Am nächsten Tag bekamen wir dann unsere Blöcke und Fächer mit Lehrern und deren Räumen (die Lehrer haben immer ihren eignen Raum und die Schüler kommen zu den Räumen) sowie die Zahlenkombination zu unserem Locker und es konnte losgehen. In der Klasse angekommen, musste man dem Lehrer nur den neuen Schedule zeigen (auf dem oben stand, dass wir neu waren und International Students) und es lief alles problemlos, wir waren ja nicht die ersten International Students. Meine Fächer waren letztendlich Calculus 12(Mathe), English 11, Socials 11, Marketing 11 (hat Spaß gemacht), P.E. (Sport), French Immersion 11, Bio 11 und ATB (Hausaufgabenblock, sehr hilfreich!). Allgemein fing die Schule um 8.30 Uhr an (mein Bus kam allerdings um 7.40 Uhr). Wie gesagt hatten wir jeden Tag 4 Blocks (jeder dauerte ca. 85 Minuten), dazwischen jeweils ein Break von 10 Minuten und nach 3 Blocks das 45 Minuten lange Lunchbreak. Danach kam noch ein letzter Block und gegen 3 Uhr war man fertig. Zum Unterricht an sich muss man sagen, dass er viel frontaler organisiert ist als in Deutschland: Im Allgemeinen hat der Lehrer geredet und wir haben Notizen gemacht oder der Lehrer hat Notizen an die Wand projiziert, die wir dann abgeschrieben oder auf ein Arbeitsblatt eingetragen haben. Schüler nehmen nicht wie in Deutschland mündlich am Unterricht teil, so dass es keine mündliche Note gibt. Die Note setzt sich letztendlich aus Quizzes (=Tests, können unangekündigt sein) und Tests (=Arbeiten), Projekten sowie Hausaufgabenchecks zusammen. Wobei im Allgemeinen 50% der Note in Quizzes und Tests durch einen Multiple-Choice-Teil erreicht werden können. Hausaufgaben sind viel einfacher als in Deutschland, aber deutlich umfangreicher. Die Lehrer erwarten einfach, dass man noch eine unglaubliche Menge nach der Schule macht… Ansonsten hat mich der School Spirit an Sentinel begeistert. Fast jeder Schüler ist stolz Sentinel zu besuchen, so dass es oft vorkommt, dass Schüler in Sentinel-T-Shirts, Trainingsanzügen ihres Schulsportteams (z.B. Fußball oder Basketball) in die Schule kommen. Dazu gab es des Öfteren noch „Spirit Weeks“ oder „Spirit Days“. Das sind Tage oder gar eine ganze Woche an der viele Schüler z.B. das Gleiche tragen. So kann es vorkommen, dass an einem Tag die ganze Schule blau trägt oder an einem anderen Tag alle in Sentinel-T-Shirts kommen. Sportteamerfolge werden groß gefeiert und man kann sich viel Respekt damit erarbeiten. Gewonnene Pokale und Banner werden in der Trophäenvitrine im Haupteingang ausgestellt und Schüler, die erfolgreich in ihrer jeweiligen Sportart waren von der Schule (also Lehrern und Mitschülern) bei der „Awards Night“ gefeiert. Der ganze Schulgeist ist sehr motivierend und gibt einem das Gefühl ein Teil des Ganzen zu sein und eben auch selber stolz darauf zu sein sich die Schule ausgesucht zu haben. Hinzu kommen noch „Motto Days“ wie z.B. das „Multicultural Lunch“, bei dem es Essen aus vielen verschiedenen Ländern zu kaufen gibt, hinzu. Solche Tage sorgen für eine angenehme Variation im alltäglichen Schulleben. Weiterhin ist das Lehrer-Schülerverhältnis ein anderes. Ich weiß nicht, ob es mir nur so vorkam oder alles Einbildung war, aber Lehrer pflegen in Kanada oft ein nahezu freundschaftliches Verhältnis mit Schülern. Wie auch immer, letztendlich würde ich relativ viele Spaßkurse (wie Kochen, Foto, Marketing, Theater, Sport) wählen. Man kommt einfach mit Kanadiern am besten in Kontakt und lernt am schnellsten Leute kennen. Dazu solltet ihr unbedingt versuchen einem Sportteam an Sentinel beizutreten. Versucht euch einfach mal in den „Tryouts“ (Tag an dem geguckt wird, ob es bei euch fürs Team reicht) und guckt, ob ihr es schafft. Ich habe z.B. Tennis im Schulteam gespielt, was auch viele neue Kontakte mitgebracht hat. Gerade als Team entwickelt man einen ganz eigenen, noch stärkeren „Spirit“, der einen richtig antreibt. Letztendlich haben wir es sogar geschafft die erste B.C. Provincial Championship für Sentinel seit 5 Jahren zu gewinnen. Es war vielleicht einer der schönsten Momente meines Aufenthaltes, als wir es als Team geschafft hatten! Außerdem gilt: Sport ist eben ein super Weg, Kontakte zu knüpfen, denn Sport verbindet, egal wo man ist, ob in Deutschland oder in Kanada. An den Wochenenden bin ich dann mit Canadians, die ich in der Schule kennengelernt hatte, zu den zwei lokalen Skibergen und habe mir Snowboarden beibringen lassen! Hat super viel Spaß gemacht und man hat viele neue Leute kennengelernt - ganz von alleine - man wurde einfach vorgestellt. Allgemein sehe ich West Van und Kanada als die beste Wahl für mich persönlich. Man hat hier einfach alles, was man braucht in der nahen Umgebung. Man hat die wunderschöne Downtown mit all den Hochhäusern, Geschäften usw., sowie das Meer und den Strand in höchstens 15 Minuten Entfernung. Bis in die Berge braucht es auch nur ca. 15 Minuten. Das heißt, man ist trotz Downtown und Großstadt in allen Richtungen von wunderschöner Natur umgeben. Und wo kann man sonst Anfang Mai mit Blick aufs Meer und Downtown snowboarden, während man danach zum Meer oder vielleicht nach Downtown fährt? Dazu gibt es ein riesen Angebot, was Sport betrifft; jede Sportart wird eigentlich angeboten. Hinzu kommt, dass die Menschen alle sehr warmherzig und „laid back“ sind. Egal, wo man gerade ist, man bekommt immer Hilfe angeboten. Auch, wenn es wie überall auf der Welt braucht, um Freundschaften aufzubauen, ist man doch nach 1-1,5 Monaten komplett integriert, wenn man es will. Englisch war eigentlich eine positive Nebenerfahrung und kam ganz von alleine und wurde von Tag zu Tag noch besser. Das einzig Negative an der ganzen Zeit ist, dass man danach unbedingt wieder zurück will! Ach, und wie sehr ich Hockey vermissen werde! Ich bin über die Zeit hier (Ice-)Hockey verrückt geworden, geht auch gar nicht anders, wenn man hier in Vancouver ist! Und ich weiß: Eines Tages wird es mich wieder nach Kanada ziehen! Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben, was euch erwarten könnte! Habt viel Spaß, ich beneide euch! Leon Kaulen Sentinel Secondary School, West Vancouver, British Columbia Januar – Juni 2009