Eine viel zu ruhige Fahrt zum Münchner Flughafen um fünf Uhr morgens, Diskussionen beim Gepäckaufgeben um die riesige Skitasche, ein überraschend tränenloser und schneller Abschied von meinen Eltern, letzte SMS am Gate: und dann ging’s los. Los in das Abenteuer, los in fünf Monate Kanada. Erst im Flugzeug von Frankfurt nach Calgary begann ich zu realisieren, dass ich meine Familie, meine Freunde, meine Schule ein halbes Jahr lang nicht sehen würde, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben komplett auf mich allein gestellt war, und fragte mich, was ich hier eigentlich machte. Aber zum Umkehren war’s definitiv zu spät. Die Tränen kamen erst nach der langen Autofahrt nach Golden, British Columbia, erst nachdem ich meine Gastmutter kennen gelernt hatte, und erst nachdem ich angefangen hatte auszupacken. Es waren die ersten Tränen, und es sollten auch bis zum Tag der Heimreise die Letzten bleiben. Denn dann kamen die fünf aufregendsten, ereignisreichsten, schwierigsten, lehrreichsten, und großartigsten Monate meines Lebens: Ich war in Kanada! Fassen kann ich das bis heute, ein ganzes Jahr später, noch nicht so ganz. Den ersten Monat habe ich bei einer ledigen Frau in ihren Fünfzigern verbracht, mit der ich mich eigentlich auch recht gut verstanden habe. Allerdings haben verschiedene persönliche Faktoren (etwa die Lage des Trailer Parks, der sehr weit außerhalb war, und auch der Lebensstil meiner Gastmutter der nicht so recht zu dem eines Austauschschülers gepasst hat) dann doch zu einem Familienwechsel geführt. Ich war mir zwar wirklich nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung war, und hatte auch ein wahnsinnig schlechtes Gewissen meiner Gastmutter gegenüber, bin aber im Nachhinein sehr froh über diesen Schritt. Die restlichen vier Monate habe ich bei einer sehr chaotischen, aber auch sehr liebenswerten Familie verbracht. Diese bestand aus meiner 33-jährigen, allein erziehenden Gastmutter, und meinen beiden Gastschwestern, 11 und 13 Jahre alt. Das Leben in meiner Familie hat eine Menge Anpassung meinerseits erfordert, so habe ich zum Beispiel gelernt, über Wäscheberge im Wohnzimmer und haufenweise dreckiges Geschirr in der Küche hinwegzusehen, beziehungsweise in regelmäßigen Abständen aufzuräumen und abzuspülen. Meine Gastmutter war zwar unglaublich nett, offen, und witzig, allerdings ständig heillos überfordert. Um das kleine Häuschen und den Tanzunterricht der Kinder zu finanzieren, musste sie 5 Tage die Woche in einem Büro und am Wochenende in einer Bar arbeiten, was eben Chaos zur Folge hatte und nötig machte, dass ich öfter mal auf die Mädchen aufpasste und ein bisschen putzte. Das war aber halb so wild, mit der Älteren der beiden habe ich mich auch sehr gut verstanden und im Gegenzug hatte ich auch eine Menge Freiheiten was abends Weggehen und Unternehmungen mit Freunden betroffen hat. Bei gemeinsamen Ausflügen in die drei Stunden entfernte Stadt Calgary zu den Großeltern hatten wir auch immer viel Spaß zusammen. Meine Schule, die Golden Secondary School, war wirklich toll, vor allem waren die Lehrer unglaublich nett und verständnisvoll. Meine Fächer waren French Immersion 11/12, Principles of Math 12, Visual Arts 10, Psychologie 12, English 10, und Social Studies 10. Obwohl ich in Deutschland erst in der 10. Klasse gewesen wäre, war Mathe 12 gar kein Problem, und auch die anderen Fächer sind mir leicht gefallen. Nur Französisch war etwas anspruchsvoller, da die French Immersion Klassen seit dem Kindergarten zweisprachig Unterricht haben. Ansonsten war das Schulleben wirklich so, wie man sich das an einer Highschool vorstellt: Mit eigenem Locker, frisch gebackenen Muffins für umgerechnet etwa 50 Cent, und der von allen bewunderten Senior Boys Basketball Mannschaft. Aber auch alle anderen Sportmannschaften, von Volleyball bis Badminton und Skifahrer, sind von ihren Mitschülern immer unterstützt und angefeuert worden: Echter Highschool Spirit eben. Kanadische Freunde finden hat etwas Engagement und Hartnäckigkeit erfordert, da mit 25 deutschen Austauschschülern jedes Jahr und nur 400 Einheimischen, die Neugierde der Kanadier nicht mehr allzu groß war. Viele Deutsche haben sich auch aus Bequemlichkeit nur mit anderen Austauschschülern angefreundet, aber sobald man sich überwunden hat, und einfach mal zu sympathischen Kanadiern dazu gesetzt hat, ging der Rest total einfach: so anders sind diese Deutschen eben doch nicht. Und spätestens nachdem man beim ersten Ice Hockey Spiel der Golden Rockets am Freitagabend dabei war, war man aufgenommen als quasi waschechter Kanadier. Das kleine Städtchen Golden hatte nur 4000 Einwohner und lag mitten in den Rocky Mountains. Die Landschaft war absolut traumhaft, der sogenannte Skihill, das Kicking Horse Mountain Resort, und der ‚Powder‘ Schnee waren einmalig und die Leute überall unglaublich gastfreundlich und aufgeschlossen. Und nach zwei Monaten kannte man auch jeden, wenn man im Supermarkt einkaufen ging… Als es dann am 31 Januar frühmorgens, nach einer langen Nacht zum kleinen Flughafen in Cranbrook ging, um wieder nach Deutschland zu fliegen, war das ein ziemlich seltsames Gefühl. Genau wie fünf Monate zuvor in München, war der Abschied überraschend tränenlos und schnell. Genau wie fünf Monate zuvor gab ich mein Gepäck auf und verschickte letzte SMS am Gate. Allerdings begann ich noch bevor ich in den Flieger steigen konnte zu weinen, und hörte auch bis zum Umstieg in Vancouver nicht mehr auf. Ein Abschiedsbrief meiner Freunde und die SMS meiner Gastmutter hatten mir den Rest gegeben. Ich kann also nur nochmal sagen, dass die Zeit in Kanada die fünf aufregendsten, ereignisreichsten, schwierigsten, lehrreichsten, und großartigsten Monate meines Lebens waren: Ich war in Kanada! Und fassen kann ich das bis heute, ein ganzes Jahr später, noch nicht so ganz. Pauline M. Golden, British Columbia