Es sind jetzt ungefähr schon zwei Monate vergangen seit ich wieder zurück in Deutschland bin, doch so richtig realisiert habe ich das noch nicht. Am 25. August 2007 ging es für mich los in das schöne Kanada! Genauer gesagt nach Pontypool, Ontario. Schon als das Flugzeug über Toronto hinweg flog und wir (meine Freundin Nici und ich) den CN Tower sahen, kribbelte es uns in den Fingern und wir wussten: Jetzt geht das Abenteuer los. Es dauerte noch ein wenig bis wir unser Gepäck bekamen und durch die Immigration durch waren, doch dann war es so weit: Das erste Treffen mit der Gastfamilie. Ich weiß noch genau wie ich durch die Glastür ging, an den Polizeibeamten vorbei und dann den Blick über die Ankunftshalle schweifen ließ. In diesem Moment war alles vergessen einschließlich des Abschieds von Freunden und Familie, der Aufregung und der Nervosität. Schließlich traf mein Blick auf ein Schild, das von einem mir unbekannten Mädchen gehalten wurde. Es war ein Schild mit meinem Namen, gebastelt von der Nichte meiner Gastmutter, wie sich später herausstellte. Ich traf also auf meine Gastfamilie, die mich sogleich herzlich in die Arme schloss. Meine Gastmutter hatte sogar Tränen in den Augen. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Die Familie bestand nur aus meiner Gastmutter Rose (53) und meinem Gastvater Fred (59), der aus einer deutschen Familie stammt und sogar noch Deutsch sprechen konnte wegen seiner deutschen Verwandten. Während der ganzen 10 Monate habe ich die Hilfe meines deutschsprechenden Gastvaters nicht benötigt. Die Fahrt zu meinem zukünftigen Zuhause schien ewig zu dauern. Das kleine Dörfchen Pontypool in der Provinz Ontario ist ungefähr 100 km von Toronto entfernt und so weite Distanzen war ich in Deutschland nun einmal nicht gewohnt. Es war später Abend als wir nach Hause kamen, wo mich gleich drei Hunde begrüßten. Meine Gasteltern zeigten mir mein Zimmer und bestanden darauf, dass ich meine Eltern kontaktierte, obwohl es in Deutschland schon fünf Uhr morgens war. Da ich meinen Eltern aber so viel erzählen wollte, obwohl ich noch kaum etwas gesehen hatte, tat ich meinen Gasteltern den Gefallen und rief an. Nach einem eher kurzen Telefonat sagte ich ‘Good night‘ zu meinen Gasteltern und fiel todmüde in mein großes, weiches Bett. Ich werde diesen ersten Abend nie in meinem Leben vergessen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, das nicht in Worte zu fassen ist. Ich hatte noch fünf Tage bevor die Schule anfing und diese Tage wollten gut genutzt sein. Als erstes stellte sich für mich heraus, dass mein Haus auf dem Land war, um mich herum nichts außer Feldern und Wiesen. Ich hatte natürlich erwartet, dass so etwas passieren konnte, doch wirklich damit gerechnet hatte ich nicht. Als ich dann auch noch herausfand, wie weit alles weg war, erlebte ich den ersten Tiefschlag. Die nächste Einkaufsmöglichkeit war in Lindsay, eine Kleinstadt (in Deutschland wohl eher ein Dorf) weit im Norden Pontypools. In diesem Ort befand sich auch meine Schule. Meine Gasteltern unternahmen sehr viel mit mir in den ersten Tagen und ich lernte auch ihre Kinder Lisa (32) und Paul (28) kennen, die beide verheiratet waren und bereits Kinder hatten. Zurückblickend kann ich nur sagen, dass ich ein echter Kinderfan geworden bin und Lisa, ihr Mann Jason und mein Gastbruder Paul zu richtigen Geschwistern und Vertrauenspersonen für mich geworden sind. Meine Gasteltern, however, brachten mich in den ersten Tagen zu den Niagarafällen, nach Toronto und auf die ‘Ex‘, eine große Ausstellung in Toronto. Außerdem verbrachten wir einen Tag auf einem sogenannten Cottage, ein Sommerhaus. Am Tag bevor die Schule begann, brachte mich Lisa zur Schule und führte mich herum, da sie selber die Schule besucht hatte. Ich traf einige Lehrer und meinen Guidance Counselor Mrs. Stringer. Dort regelten wir einige Formalitäten und ich wählte meine Kurse für das erste und zweite Semester (Mathe, Canadian Law, Civics/Careers, Ancient History, Japanisch, Music Band, English, World Religions). Ich verließ meine neue Schule, die Weldon Secondary School in Lindsay, mit dem Gefühl, ein echter Teil davon zu sein. Und dann war es auch schon so weit. Mein erster Schultag an einer kanadischen High School stand bevor. Gleich im Bus lernte ich eine netten Jungen kennen, den man wohl als ‘Geek‘ bezeichnen würde, doch er ist einer der nettesten, offensten und ehrlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Das war meine erste Lektion in Kanada: Höre nicht auf die Urteile anderer. Zumindest was diese Situation anging… Gleich an diesem ersten Schultag lernte ich tausende von Schülern kennen. Brittany war die erste Schülerin, die ich selber angesprochen habe um ein Klassenzimmer zu finden. Es stellte sich heraus, dass sie die gleiche Klasse besuchte und sie setzte sich hinter mich. Diese Freundschaft war und würde nie eine tiefere Freundschaft werden, doch wir verstanden uns gut und erledigten Gruppenarbeit immer gemeinsam. Ein wenig später stellte sie mich der Tochter des Guidance Counselor’s vor, mit der ich vor meinem Reiseantritt schon Kontakt hatte. Heute kann ich sie als meine beste kanadische Freundin bezeichnen. Die nächste Person, die ich kennen lernte war Andrew, der zu meinem besten Freund in Kanada wurde. Wenn ich an unsere gemeinsame Zeit zurückdenke, schießen mir oft Tränen in die Augen aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Zeit bis Mitte November war für mich ehrlich gesagt eine der schlimmsten. Ich hatte Heimweh, mit Freunden lief es nicht so wie ich es mir vorgestellt hatte und ich verfluchte alles um mich herum. Meine Familie und Gastfamilie versuchte mich so gut es ging zu unterstützen doch ich fühlte nicht, dass sich etwas änderte. Mitte November verbesserte sich dann ganz plötzlich alles für mich. Ich spürte dass ich offener wurde und meine Schüchternheit ablegte. Ich schloss engere Freundschaften und je besser es mir ging, desto mehr Leute schienen sich für mich zu interessieren. Das war eine weitere Lektion in Kanada: Sei offen für alles, denn je besser es dir geht, desto besser ist deine Ausstrahlung. Auch der Unterricht in der Schule fiel mir leicht. Von Anfang an, hatte ich keine Probleme, weder sprachlich noch mit den Lehrern. Die Lehrer waren überfreundlich, zeigten Interesse an den Schülern und erklärten den Stoff anschaulich und interessant (Grüße an Mr. Winter und Mdm. Thayer, Mrs. Caputo und Mrs. Burns, die besten Lehrer der Welt). Schule machte richtig Spaß und ich möchte keinen Tag missen! Natürlich muss man dazu sagen, dass Schule auch etwas einfacher ist als in Deutschland. Nicht alle Fächer, aber zum Beispiel Mathe ist ein eher einfaches Fach, da man in Kanada ein Jahr hinterher ist. Biologie hingegen ist ein Jahr voraus! Also, falls man sich Sorgen um Schule in Deutschland macht, sollte man doch eher Kurse der nächsthöheren Jahrgangsstufe wählen! Meine Zeugnisse fielen überdurchschnittlich gut aus und brachten mir ein exzellentes Ansehen bei Lehrern und Schülern. Oftmals wurden sogar meine Essays oder Aufsätze als Musteraufsätze genommen, was mir ein unglaubliches stolzes Gefühl brachte. Die Zeit zwischen Mitte November und Februar war eine der besten die ich je hatte. Zu Weihnachten bekam man Geschenke von Bekannten, von denen man es gar nicht erwartet hätte (Eine Notiz für alle: Kanadier sind die freundlichsten Menschen der Welt!). Weihnachten in der Gastfamilie war nicht viel anders als in Deutschland. Natürlich sind die Sitten und Gebräuche etwas verschieden (wir würden zu Weihnachten wirklich keinen Truthahn essen!) doch im Großen und Ganzen habe ich davon keinen Kulturschock erlitten. Silvester verbrachten wir ebenfalls im Kreis der Familie, sehr ruhig. Ende Januar standen dann die Examen bevor und damit das Ende des ersten Halbjahres. Ich schloss die Examen ausgezeichnet ab und startete sofort mit dem zweiten Semester, was bedeute, dass man andere Kurse bekam. Am Anfang fand ich das sehr verwirrend. Ich kam mit den Lehrern weniger gut klar als am, wechselte einige Kurse und dann kam auch das wieder in Ordnung. Nach einem großen Tief im Februar nahm ich mir eine Woche frei und meine Gastfamilie flog mit mir in die Dominikanische Republik. Es war ein unvergesslicher Urlaub. Ich verpasste auch nicht viel Schule, da es so sehr schneite, dass jeder zweite Tag ein sogenannter Snow Day war. Obwohl ich Kanada wirklich lieben gelernt habe, möchte ich nicht im Winter dorthin zurückkehren. In Kanada habe ich gelernt, Schnee und Kälte zu hassen. Bis Anfang Mai musste mir meine Winterjacke Dienste erweisen… Die Zeit von März bis Juli verging wie im Flug. Ich lernte immer mehr Freunde kennen, die ich nie vergessen werde. Während ich unter der Woche damit beschäftigt war, etwas für die Schule zu lernen und Hausaufgaben zu machen, verbrachte ich die Wochenenden meistens mit meinen kanadischen Freunden oder meiner deutschen Freundin Nici. Ich glaube, dass ich jedes zweite Wochenende in Toronto verbrachte. Zusammen mit Nici und ihrer Gastfamilie habe ich ebenfalls eine unvergessliche Zeit verbracht. Ende Juni standen dann wieder die Examen bevor, die wie erwartet für mich sehr gut ausfielen. Am Ende des Jahres hatte ich es mit dem Lernen nicht mehr so ernst genommen, was zur Folge hatte, dass mein Durchschnitt um vier Prozent abrutschte, doch das war in Ordnung. Am 25. Juni war schließlich die Schule vorbei und ich räumte schweren Herzens mein Schließfach. Niemals werde ich vergessen wie meine Freunde um mich herum versammelt standen und mir traurig dabei zusahen, wie ich die letzten Papierschnipsel und leeren Flaschen aus meinem Locker holte. An einem Wochenende nahmen mich meine Gasteltern noch mit in die Hauptstadt Ottawa, wo wir ein tolles Wochenende verbrachten. Ich hatte das große Glück, Canada Day, den Nationalfeiertag Kanadas, in Kanada zu verbringen. Als kleinen Tipp kann ich nur allen raten am 1. Juli nach Ottawa zu fahren. Ich selbst habe Canada Day etwas ruhiger mit meinen Freunden verbracht, doch im Nachhinein haben meine Gasteltern und ich bereut, dass wir nicht bis Canada Day in Ottawa geblieben sind. Am 5. Juli hieß es schließlich Abschied nehmen. Es war der Geburtstag meiner Gastmutter und deswegen war es für uns alle schwer, irgendeine Emotion zu zeigen, denn man wusste nicht ob man lachen oder weinen sollte. Als ich dann mein letztes Geschenk überreichte (ein Poster mit den verschiedensten Fotos von meiner Gastfamilie und mir) brachen bei uns allen die Tränen aus. Zum Abschluss möchte ich zusammenfassend noch sagen, dass ich diese 10 Monate nie im Leben vergessen werde. Es war nicht immer leicht, doch ich habe dazu gelernt und bin erwachsener geworden. Ich habe so viel fürs Leben gelernt. Mein Leben in Kanada war sehr verschieden von dem in Deutschland und es ist ein zweites Leben, das ich immer wieder gerne leben würde. Obwohl jetzt schon zwei Monate seit meiner Rückkehr vergangen sind, hänge ich noch sehr an meinem zweiten Zuhause, meiner Gastfamilie, meinen Freunden… ich hoffe dass diese Sehnsucht irgendwann nachlässt sodass ich in Deutschland wieder ein ganz normales Leben führen kann. Jeder, der es schafft 10 Monate in einem fremden Land zu leben, kann sehr, sehr stolz auf sich sein. Ich selbst könnte vor Stolz platzen, denn trotz vieler Schicksalsschläge zuhause, habe ich die 10 Monate überstanden. Canadians, I love you. Franziska Graf Pontypool (zwischen Lindsay im Norden und Toronto im Süden), Ontario 2007/2008