Erfahrungsberichte aus Georgia
Gainesville: Franziska Gramm
Hallo iSt! Jetzt in den Weihnachtsferien habe ich endlich Zeit, euch ein wenig über mein Leben hier in Georgia zu schreiben! Ich bin jetzt seit fast fünf Monaten hier und einerseits geht die Zeit total schnell rum und dann wieder passiert einfach so viel, ist alles so intensiv, dass man das Gefühl hat, schon seit Jahren hier zu sein. Als ich vor acht Monaten aus dem Urlaub wiederkam und einen Brief von meiner Gastmutter vorfand, war ich doch etwas überrascht. 75 Jahre alt?! Nun, der Brief war ziemlich nett, alles andere klang auch ganz gut, also sagte ich zu. Schon bald schickte sie mir Fotos und besonders Lake Lanier, der See an dem sie wohnt, überzeugte mich. Die Zeit bis zu meinem Flug ging dann sehr schnell rum. Ich hatte noch eine Abschlussparty, eine Woche Familienurlaub und schon war der 5.August da und ich im Flugzeug nach Atlanta. Den Abschied hatte ich mir schlimmer vorgestellt, es passierte so viel, dass man gar keine Zeit hatte, über irgendetwas nachzudenken. Ich musste ohne Gruppe fliegen, aber traf im Laufe des Tages drei andere Austauschschüler und war so nie alleine. Nach zehn Stunden kam ich dann schließlich in Amerika an, mir war schlecht vom Flug (über Atlanta war es ganz schön windig), ich hatte Hunger und mein Sitznachbar sagte: “Welcome to America”… Nach mindestens einer weiteren Stunde traf ich endlich auf meine Gastmutter Emma und ihre beiden Töchter Karen und Cathy, die mit Schild und Blumen auf mich warteten. Und dann warteten sie mit mir zwei weitere Stunden auf die Gastfamilie einer anderen Austauschschülerin, die ich im Flugzeug kennen gelernt hatte. Da wusste ich schon, dass ich mit diesen Leuten Glück gehabt hatte! Die ersten Wochen waren dann aber doch ganz schön hart. Ein Tag scheint durch all die neuen Eindrücke eine Ewigkeit zu dauern, am zweiten Schultag fragt man sich, warum man denn immer noch nicht eingeladen wurde, ob die Kurse, in denen man nichts versteht, wirklich die richtigen waren und wie man es überleben soll, die nächsten Monate jeden Tag bis elf Uhr Hausaufgaben zu machen. Nachdem ich dann aber Horticulture in Band umwählte (meine anderen Fächer waren American Literature, Spanish und AP Calculus, Mathe), bei der Flagline mitmachte und mich an die lange Schulzeit gewöhnte, sah alles schon viel besser aus. Die Lehrer sind auch einfach total nett und hilfsbereit hier, genauso wie fast alle anderen Leute. Jeden Tag zwei Stunden im Schulbus nervt, aber man gewöhnt sich an alles! Meine Gastfamilie ist super nett. Wohnen tue ich nur mit Emma und Katze Zoey zusammen, aber Emma hat vier Kinder, acht Enkelkinder und einen Urenkel und viel Kontakt mit allen. Ich war mit ihnen bei einigen Footballspielen der Georgia Bulldogs, in North Carolina und nächste Woche geht es nach Alabama und Tennessee. Bei Karen, Emmas Tochter, habe ich auch schon eine Woche gewohnt und Jennifer, Karens Tochter, ist auf den Tag genauso alt wie ich. Emma hat auch am gleichen Tag Geburtstag und so haben wir alle zusammen gefeiert. Ich habe Geschenke und Karten von der ganzen Familie bekommen und werde allgemein wie ein Familienmitglied behandelt. In die Kirche (United Methodist) geht es natürlich auch einmal die Woche, aber erst um elf, ist also nicht so schlimm. Kirche ist wirklich besser hier, weil wirklich fast jeder hingeht und nicht nur alte Leute. An Wochentagen ist Schule wirklich so ziemlich alles was man macht und eben Aktivitäten von der Schule. Das kann manchmal wirklich stressig werden, Sprachen sind hier zwar echt sehr einfach, aber Calculus und American Literature waren doch viel Arbeit. Wirklich Spaß hat Band gemacht und ich würde jedem raten, eine “fun class” zu wählen, wo man auch ein bisschen mehr mit anderen reden kann und mal was anderes macht. Ich hatte auch alle typischen Erfahrungen hier wie Homecoming, Halloween… und sogar die Präsidentenwahl. Also, hier sein ist ziemlich gut! Weg sein halt nicht immer. Ich vermisse Deutschland, Familie und Freunde sehr, aber gerade dadurch bekommt die Zeit hier soviel Wert. Meine Gastmutter ist, wie gesagt, auch sehr nett, doch ihr Alter macht das ganze schon speziell. Es hat viele Vorteile, sie kümmert sich wirklich viel um mich (was auch manchmal nervt: “Zieh dich bloß warm an!” “Hast du genug gegessen?”), aber andererseits versteht sie wenig von mir. Über Probleme reden kann ich mit ihr, nach einigen Versuchen, leider nicht richtig, sie scheint es nicht nachvollziehen zu können und ist auch nicht besonders interessiert daran. Da denke ich schon manchmal, dass ich lieber in einer richtigen Familie wäre. Aber jede Gastfamilie hat wohl ihre Nachteile und ich verstehe mich mit ihren Töchtern wirklich gut, was manches ausgleicht. Zum Schluss noch: Ich bin für ein Semester hier und habe die Frage: Warum bist du denn nur ein halbes Jahr da? oft genug hören müssen. Ich bin sechs Monate hier, das ist nur vier Monate weniger als ein Ganzjahresschüler und ehrlich gesagt ist es für mich die perfekte Zeit. Ich bin nicht zu lange weg, komme in Deutschland gut wieder in die Schule rein, habe aber trotzdem eine lange Zeit hier. Dieses “ein halbes Jahr bringt nichts” ist wirklich totaler Blödsinn! Natürlich, für Sachen wie das Englisch gilt: Je länger, desto besser. Sonst ist es aber, wenn man sich von vorneherein drauf einstellt, kein komisches Gefühl, schon im Februar zu gehen. Also, jeder kann für sich selbst entscheiden, was für ihn das Richtige ist! Eine unvergleichliche Erfahrung wird es bestimmt. Vielen Dank an meine Eltern, die mir das hier nicht nur ermöglicht, sondern mich auch die ganze Zeit über moralisch unterstützt haben. Viele Grüße, Franziska Gramm Gainesville, Georgia