Ich hatte bis zum Vorbereitungstreffen noch gar nicht realisiert, dass ich schon in geraumer Zeit für drei Monate in Amerika sein würde. Vielleicht war das besser so, denn wenn man sich zu viele Gedanken macht, versaut man sich eine spannende Zeit in einem fernen Land, in dem man lernt spontan, flexibel und unabhängig zu sein. Als ich also einen Brief bekam, der mir zusicherte, dass iSt eine Gastfamilie und Schule in Kalifornien gefunden hat, wuchs meine Aufregung und meine Vorfreude von Tag zu Tag! Ich habe zuerst meine Gastmutter am Telefon gesprochen, deren lateinamerikanischer Nachname mich erst fragen ließ ob ich es mit einer wirklichen Amerikanerin zu tun hatte. Aber wie wir alle wissen, ist Amerika der Melting Pot, die Salad Bowl und was noch alles... und deswegen (aber auch wegen ein paar anderen charakteristischen Merkmalen einer amerikanischen Familie) war ich wirklich in einer waschechten amerikanischen Familie untergebracht, die den "American Dream" so wie man es vorbildlich in der Schule lernt von vorne bis hinten ausgelebt hatte und immer noch auslebte. Der Flug verging sehr schnell, da ich mit mehreren Austauschschülern zusammen geflogen bin und uns die sieben Stunden Flug eigentlich genügend Zeit boten, unsere Erwartungen und Hintergründe auszutauschen, was auf jeden Fall eine große Hilfe für mich war. Zwar war ich allgemein nicht so aufgeregt, wie manche es beschrieben hatten, da ich mehr oder weniger versuchte, selbstbewusst an die ganze Sache heranzugehen und mich auf neue Erfahrungen freute, doch kann ich eine gewisse Neugierde und Anspannung nicht verleugnen. Egal was passiert, egal was dort drüben anders ist und egal was man erlebt – nichts kann dieser Erfahrung gleich kommen. Keine Berichte, keine Geschichten, kein Urlaub und auch kein English Camp – man muss alles selber erleben, um überhaupt zu verstehen, was solch eine Chance für einen selbst bedeutet. Mit den Gedanken an eine ereignisreiche Zeit, in der es mit Sicherheit auch darum ging, mich selbst neu kennenzulernen, unabhängig zu sein und vor allem in einem fremden Land mit allem klarzukommen, was auf einen zukam, landete ich also in Sacramento, der Hauptstadt des Traumstaats Kalifornien. Meine Gastfamilie war sehr jung, sehr wohlhabend, sehr modern und sehr nett. Ich habe meine drei Monate in einem Haus verbracht, in dem ich mich nach einer Woche immer noch verlaufen konnte und vor dessen Eingangstür jeden Tag mindestens drei Limousinen parkten. Meine Gastfamilie besaß in San Francisco einen Limousinenverleih und hatte sich so ihr eigenes Geschäft aufgebaut, welches auf alle Fälle auf Trab gehalten werden musste. Man muss sich darauf einstellen, dass das Leben in der Gastfamilie anders sein wird als wie man es zu Hause gewohnt ist. Die Umstellung, die ich durchmachen musste, war wirklich witzig, aber auf der anderen Seite auch sehr anstrengend und fremd. Jede Familie, ob in Deutschland, Amerika, Asien oder Afrika, hat eigene Regeln, eigene Sitten und Angewohnheiten und es ist klar, dass keine Familie gefunden werden kann, die hundertprozentig zu dir passt. Man muss bereit sein, sich anzupassen und sich zu verändern! Obwohl meine Gasteltern zum Beispiel oft zu Hause waren, waren sie ununterbrochen mit ihrem Business beschäftigt und ich hatte sehr viel Zeit und Raum für mich. Es gibt verschiedene Aspekte, die an einem Aufenthalt schön sind, denn wenn man die Möglichkeit hat am wirklichen Family Life teilzuhaben, dann kann man diese perfekt nutzen um Teil der Familie zu werden, alltägliche Dinge mitzuerleben, Ausflüge zu machen oder einfach ununterbrochen unter Menschen zu sein. Leider ist dieses Leben nicht immer gewährleistet und so war es auch bei mir der Fall, dass meine Gasteltern schwer beschäftigt waren und ich entweder sehr viel Zeit mit der Schule oder mit mir selbst verbrachte – nichts schlimmes, vorneweg. Und dort sind wir auch schon beim nächsten Thema: Schule. Die Schule ist eigentlich der perfekte Ort, um verschiedenste Persönlichkeiten kennenzulernen, viel über Amerika zu lernen und sich wunderbar sinnvoll zu beschäftigen. Auch wenn ich teilweise meine 92 Minuten Unterrichtszeit in der LCHS (Laguna Creek High School) absaß und mir beim „Malen-nach-Zahlen Spanisch Kurs“, den ich jeden Tag hatte, nicht verkneifen konnte mich nach jeder Frage zu melden, weil die amerikanischen Schüler einfach so unfähig schienen irgendeine Grammatik anzuwenden, habe ich so viel in der Schule gelernt, dass ich jetzt immer noch so viel behalten kann und in der 12. Klasse in meinem LK Englisch super gut mitkomme. Ich empfehle deswegen jedem US History zu belegen! Ich habe dort zwar so viel lernen müssen, dass ich mir vor lauter englischen Begriffen, Bürgerkriegen, Bewegungen, bedeutenden Persönlichkeiten und Jahreszahlen total überfordert vorkam, aber im Grunde war es ein Intensivkurs der Geschichte von Amerika – von der Entdeckung durch Columbus bis zum 2. Weltkrieg, alles in drei Monaten! Wahnsinn oder einfach Amerika pur?! Wenn ich ganz ehrlich bin, vermisse ich teilweise schon das Amerikanische Schulsystem. Die Lehrer meiner Schule waren super ausgestattet, kompetent und mitreißend, sodass ich eigentlich in jedem Fach etwas mitnehmen konnte. Ich bin bis jetzt noch nicht dahintergekommen, wieso ich in meiner English 11 Class am Ende Klassenbeste war, aber ich habe Lektüren bearbeitet, gelesen und verstanden, an die ich mich so nicht herangetraut hätte. Schule war sozusagen der Ort, wo man lernte, aber auch der, wo man viele Menschen in Kürze kennenlernte und mit denjenigen Zeit verbringen konnte, die einem die englische Sprache toll passiv beibringen konnten, sodass man am Ende des ganzen "Ausflugs" wieder im deutschen Klassenzimmer saß und sich im Stillen heimlich dachte "Sag mal, war die Aussprache meines Nachbars eigentlich schon immer so schlecht?" Die Schule hat eine weitaus größere Bedeutung für die Schüler in Amerika als für uns. Der sogenannte "School Spirit" ist einfach das, was die Schüler zusammenhält und die Gemeinschaft stärkt. So gibt es die allseits bekannten Homecoming Proms, die Football Games, die Cheerleader etc. – und alles ist so viel größer, aufregender als in Deutschland, sodass man in der Schule oft noch sein zweites Leben führte und so sehr viel Spaß mit den Leuten haben konnte. Mein Tipp an alle, die es noch vor sich haben: Genießt es einfach. Man kann sich nicht an alte Prinzipien und deutsche Ordnung halten, wenn man in einem total fremden Land ist und genau deswegen macht ihr ja auch den Schritt ins Ausland. Ich habe in meiner Zeit dort gelernt, dass ich auch woanders schnell Anschluss finden kann, ob das jetzt auf die offene aber gleichzeitig auch überholt affektierte Art der Amis zurückführt oder nicht soll hier keine Rolle spielen, denn jetzt weiß ich, dass ich mich durch diesen Schritt weiterentwickelt habe. Ich habe gelernt was mir wichtig ist, gelernt was ich will und was ich kann und ich habe gelernt mit Dingen spontan und locker umzugehen, Dinge, von denen ich gedacht habe, dass ich nie im Stande wäre sie zu tun. Es ist eine individuelle Bereicherung für jeden, der für längere Zeit weggeht, das alte Zuhause verlässt und sich an etwas Neues heranwagt. Alles ist neu und alles ist faszinierend, wenn man nicht ängstlich vor allem zurückschreckt. Ob man in einem Schulbus mit 90% rappenden Afroamerikanern zusammen sitzt oder wegen einmal Zuspätkommen "Saturday School" (Nachsitzen) erhält – all diese Dinge wird man nur einmal im Leben machen und ihr werdet euch im Nachhinein echt an diese Gefühle und Dinge erinnern und staunen, wie ihr das alles erleben durftet – es ist ein Privileg. Wenn euch Leute gefallen, sprecht sie an, wenn ihr bei Freunden eingeladen seid, geht dahin, wenn ihr Sport macht, dann setzt das fort, wenn ihr eurer Gastfamilie etwas kochen wollt, dann kocht, wenn ihr Lust habt einkaufen zu gehen, dann schlagt das vor: aber seid offen für alles! Schlechte Laune, Angstzustände vor dem ersten Schultag oder dem Morgen nach der Ankunft gibt es nicht, denn ihr seid der Mittelpunkt und man freut sich auf euch (ich wurde zum Beispiel auf einem iSt Plakat im Starbucks von Elk Grove entdeckt!). Alles was euch in dieser Zeit begegnet ist eine Lebenserfahrung, auf die ihr später, wenn ihr wieder hier seid, zurückblicken werdet und froh seid all die Dinge mitgemacht zu haben, egal wie sie letztendlich ausgegangen sind, ob ihr gut oder schlecht darüber denkt, denn der Aufenthalt wird niemals schlecht werden: er ist ein Teil von euch selbst. Er wird so, wie ihr ihn macht. Meine drei Monate in Sacramento waren von vielen verschiedenen Impressionen geprägt. Mal habe ich mich nach meiner alten Umgebung gesehnt, mal wollte ich aber auch ausschließlich so viel Zeit wie möglich mit meinem Gastbruder verbringen, den ich nach einer Woche wirklich so ins Herz geschlossen hatte. Sehr wichtig war es für mich, bodenständig zu bleiben, meine Zeit in USA zu nutzen, viel mitzumachen, viel zu erleben, viel kennenzulernen, aber natürlich auch zu wissen, dass diese Zeit vorbeigeht. Für mich waren diese drei Monate die perfekte Länge, weil ich mich gefreut habe in Amerika zu sein, aber auch gleichzeitig damit klar kam, wieder gehen zu müssen. Ich habe keine zu hohen Erwartungsmaßstäbe gemacht, weil man nicht planen kann, wo man landet, was man erlebt und wie man damit selber klar kommt und genau aus diesem Grund ist es sehr wichtig, sich selbst stark zu machen und sich nicht allzu viele Sorgen zu machen. Jeder kommt dort drüben klar, solange er den Willen hat, dort die Zeit zu genießen und möglichst viel daraus mitzunehmen. Ich hoffe ihr werdet eure eigenen individuellen Erfahrungen sammeln und könnt dann genauso wie ich schreiben, dass ihr Neues über euch selbst gelernt habt, was ihr allen anderen voraushaben werdet. Virginia Santoso Elk Grove, California