"Halbzeit!", schrie meine Mom vor knapp einer Woche ins Telefon. Ich fand im ersten Moment keine Worte, obwohl ich sonst ein Mensch bin, der es liebt, zu reden. Ich war sprachlos, weil es mir vorkommt, als wäre es gestern gewesen, dass ich mich von meinen Eltern am Flughafen verabschiedet habe und nach knapp 8 Stunden Flug erschöpft meine hostmom in die Arme geschlossen habe. Und das soll jetzt schon 160 Tage her sein? Unglaublich, aber wahr! Mein Leben hat sich in diesen 160 Tagen komplett verändert. Ich habe unbeschreiblich schöne Momente erlebt, aber ich musste auch feststellen, dass 'The American Dream' manchmal gar nicht so traumhaft ist. Ich lebe zusammen mit meiner hostmom, unserem kleinen, süßen Duffy Dog und einem anderen französischen Exchange Student in Greenport, einem kleinen Städtchen auf Long Island, knapp 2 Stunden vom Big Apple entfernt. Meine hostmom und ich sind einfach perfekt füreinander geschaffen: 'Gesucht und gefunden.' Unser Verhältnis zueinander ist mehr freundschaftlich und obwohl ich von einer großen Familie mit vielen Kindern geträumt habe, kann ich sagen, ich hätte es fast nicht besser treffen können. Das französische Mädchen und ich verstehen uns leider nicht so gut, was mittlerweile aber nicht mehr ein großes Problem darstellt, da wir unsere eigenen Freundeskreise gebildet haben. Leute kennen zu lernen war wirklich nicht weiter schwer, da Amerikaner im Allgemeinen sehr offen sind. Und alle sind daran interessiert, was das 'German Girl' zu sagen hat. Vor meiner Abreise hatte ich große Angst, dass meine Sprachkenntnisse nicht ausreichen würden, oder dass ich manchmal überfordert sein und Heimweh haben könnte. Doch nun weiß ich, dass meine Sorgen komplett unbegründet waren. Nach den ersten paar Wochen war ich so mit der Sprache vertraut, dass ich sogar begonnen habe, auf Englisch zu träumen, was wirklich ein Erlebnis ist und Heimweh ist für mich jetzt ein Fremdwort. Eine der größten Umstellungen ist die Schule. Ich habe gerade erst letzte Woche meine Midterms & Regents (Eine Art Staatstest, den jeder Schüler bestehen muss, um einen Abschluss zu erhalten) abgeschlossen und bin ziemlich stolz, dass ich im Durchschnitt ziemlich gut abgeschnitten habe. Es ist wirklich witzig, dass die meisten meiner Mitschüler denken, ich sei super intelligent, da ich sogar in meiner zweiten Sprache so gute Noten erhalte. Meiner Meinung nach, können sich die deutschen Schulen eine Scheibe von den amerikanischen abschneiden. Obwohl die Bildung hier lange nicht so gut ist, wie bei uns in Deutschland, kann ich zum ersten Mal seit meiner Grundschulzeit wieder sagen, dass ich Spaß habe, zur Schule zu gehen. Meine Lehrer sind einfach unbeschreiblich und sie spielen auch eine große Rolle dabei, dass ich Schule so genieße. Mein Mathelehrer wäre in Deutschland wahrscheinlich schon ein paar Mal von unserem Rektor ermahnt worden, wegen seines Unterrichtsstils. Doch ich liebe es, wenn er seinen kleinen 'German Dance'(extra für mich erfunden) aufführt, um uns das Volumen von einem Kreis zu erklären. Doch so witzig er sich auch anhört, ich habe das Gefühl, Mathe endlich wieder 100% zu verstehen, was ich in Deutschland schon lange aufgegeben hatte. Neben meinen Schulerfolgen, spiele ich noch in der High School Band, hatte während der Volleyball Saison einen Stammplatz im Team und trainiere nun zusammen mit meinem Coach die Junior High Girls ebenfalls in Volleyball. Nächste Saison werde ich mal etwas Neues ausprobieren und Softball spielen, was eine Art Baseball nur für Mädchen ist. Wie ihr seht, ist keine Langeweile in Sicht und ich bin immer schwer beschäftigt, was es wirklich nicht leicht gemacht hat, mal eine freie Minute zu finden, um euch zu schreiben. An den Wochenenden geht es hin und wieder mit meinen Freunden nach New York, oder zu den Malls shoppen, oder wir sitzen einfach in Starbucks, was zu meinem zweiten Zuhause geworden ist, und genießen eine Latte. Ich hoffe, dass meine verbleibenden 160 Tage genauso aufregend und spannend werden, wovon ich aber schwer ausgehe. Ich habe noch einige große Events vor mir, die auf meinem Programm stehen, bevor ich nach Hause gehe. Unter anderem einen Seniortrip mit meiner Klasse nach Chicago, dann geht es im März mit meiner Organisation und anderen Exchange Students nach California und im Juni natürlich meine Graduation. Das wird sicherlich ein einmaliges Erlebnis, nach dem es dann auch schon wieder nach Hause geht. Oh, ich will gar nicht an meinen Abschied denken. So froh ich bin, meine Familie und meine Freunde auch wieder zu sehen, aber auf der anderen Seite, will ich die Leute hier nicht verlassen, am liebsten würde ich einige mitnehmen. Ich habe viele neue Freundschaften geschlossen, was mich ganz sicher zurück nach Greenport führen wird. Ich bereue keine Sekunde, die ich hier verbracht habe. Es war die beste Entscheidung meines jungen Lebens, die Chance eines Austauschs wahrzunehmen. Tanja Brüll Greenport, New York